Der neue Roman des preisgekrönten deutsch-irakischen Schriftstellers Abbas Khider beginnt mit einer bühnenreifen Gewaltfantasie: Der junge Asylbewerber Karim Mensy hat die für ihn zuständige Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde an ihren Bürostuhl gefesselt und ihr mit einem Packband den Mund zugeklebt. Im Haschisch umnebelten Grenzbereich zwischen Traum und Wirklichkeit lässt der Ich-Erzähler Karim nun dreieinhalb Jahre Asylaufenthalt in einem „unter Paragrafen und Ängsten begrabenen Deutschland“ Revue passieren: Eine wohldosierte Mischung aus hartem Tatsachenbericht und abgründiger Lebensbeichte. Khider, der nach langjähriger Flucht im Jahr 2000 nach Deutschland kam, dort Asyl fand und später, über das Studium von Literatur und Philosophie, zum Schreiben fand, weiß wovon er hier erzählt. Im melancholisch-heiteren Tonfall eines vom Leben Gebeutelten, aber nicht Besiegten führt Khider uns tief in den Kaninchenbau einer sich durch unfreiwillige Untätigkeit selbst zersetzenden Parallelgesellschaft. Es sind junge und alte, verzweifelte, verwegene und rastlose Existenzen, die hier durch die viel zu nachlässig geknüpften Maschen des entseelten deutschen Verwaltungsapparats fallen: „Wir standen mittendrin und doch waren wir meilenweit von all dem entfernt. Die Einheimischen gingen shoppen, wir wärmten uns an ihrem Leben.“
Veröffentlicht in: PROFIL, Nr. 8, 22. Februar 2016.
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