Das magische Theater
Das magische Theater ist nichts anderes als die weite Pforte, die du schnellen Schrittes durchschreiten musst, um in die Katakomben deiner Seele zu gelangen. Die Gestalten und Szenen, die dir im Atrium des Theaters – weitläufig und schwer zugänglich – begegnen werden, sind allesamt Elemente deines Willens, die dir in deinem wirklichen Leben begegnen könnten, ja vielleicht werden, oder aber, und das ist wahrscheinlicher, unbemerkt und ungelebt erlöschen werden, wie nächtliche Schatten, die die Sonne im Aufgehen zerhellt.
Teils sind es Persönlichkeiten deiner selbst, die lange unter deinem Alltagscharakter verborgen, zu großem Leben erstarrt sind. Charaktere werden darunter sein, die du vielleicht geflohen hast, weil sie dir in ihrer Fremdheit nur allzu vertraut erschienen, teils Gestalten, die schon immer in deinen Taten gelebt und in deinen Träumen geträumt haben, ohne dass es dir bisher bewusst gewesen war. Da das magische Theater nur für dich bestimmt ist und es tausende, ja unzählige dieser geheimen Spektakularien gibt, wirst du furchtbar allein sein in seiner Mitte. Nur auf dich allein gestellt, deiner Sehnsucht wie nie in deinem Leben ausgeliefert, wirst du ein Terrain durchmessen, das keine Karten kennt und keine Fläche, einen Ort ohne Ortung, an dem nächtliche Schatten und singende Quellen derselben Sonne dienen. Ja, wunderliche Dinge werden dir fragend auf deinem Weg entgegentreten: Erwünschtes, Verwünschtes, Verlorengeglaubtes, Erhofftes, Erhabenes…Keineswegs wird es einfach sein über die schmalen und harten Gänge, durch die weiten und lichten Räume des Theaters zu wandeln und die bunten Türen zu betrachten, deren Inschriften manchmal verlockend, oftmals aber erschreckend lodern werden – wie das sengende Rot von Sonnenuntergängen über uralten Dünen, wenn nur die Einsamkeit ihre Strahlen streift. Wenn die Furcht endlich größer wird als die Versuchung, tritt rasch und ohne weiter zu zaudern ein, in den Raum, der dir am nächsten ist.
Wenn du es endlich geschafft hast, ohne am Ende den Verstand verloren zu haben, nach vielen Türen, manchen Verirrungen, hunderten Reisen und zahllosen Bekanntschaften, mit geläutertem Herzen und offenen Augen den rotsamtenen Vorhang deiner Seelenbühne beiseite zu schieben, erkennst du, dass das Podium leer ist. Nur ganz hinten, dort, wo der Schein der Bühnenlampen tiefe Schatten wirft, wirst du auf einem einsamen Platz eine Gestalt ausmachen können. Du staunst, denn als Zuschauer deines eigenen Stücks erkennst du dich selbst. Noch bevor sich die rote Schwere des Vorhangs für immer geschlossen hat, unmerklich, fast ohne dein Zutun, ist dir, als ob auch dein einköpfiges Publikum dich erkannt hat. Du lächelst.
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